Halbleiterübergitter entstehen durch eine abwechselnde Schichtenfolge
von zwei verschiedenen Materialien. Bei ausreichender Barrierendicke
können die Elektronen als weitgehend in den Quantentöpfen lokalisiert
angesehen werden. Das resultierende Energieschema ist in
Abb. 9 dargestellt. Weiterhin sei angenommen, dass sich
die Elektronen eines Topfes in einem lokalen Gleichgewicht befinden
und somit mehrheitlich dessen niedrigstes Energieniveau bevölkern. Die
Elektronen können aus dem Grundzustand eines Topfes in einen der
freien Zustände des nächsten Topfes tunneln, ein eventueller
Differenzbetrag in der Energie der Zustände kann dabei durch das
zwischen den Töpfen herrschende elektrische Feld ausgeglichen werden.
Die Stromdichte
vom Topf
nach
ist folglich eine nichtlineare Funktion des Feldes
zwischen den Töpfen, sowie der Elektronendichten
und
in den beteiligten Töpfen. Für die konkrete mikroskopische Berechnung
von
benutzen wir das in unserer Arbeitsgruppe entwickelte
sequenzielle Tunnelmodell, s. den Übersichtsartikel
von A. Wacker [17]. Für die Kontaktströme am Emitter
und
am Kollektor
nehmen wir der Einfachheit halber Ohm'sche
Randbedingungen an, welche durch eine Kontaktleitfähigkeit
charakterisiert ist.
ist hierbei die Anzahl der Quantentöpfe des
Übergitters.
Damit ergeben sich folgende Bewegungsgleichungen für die
Elektronendichten:
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Je nach Wahl der physikalischen Parameter (insbesondere von
und
) ergibt das Gleichungssystem (10), (11)
und (12) bei konstantem
entweder stationäre oder
oszillierende räumlich-inhomogene Lösungen (Felddomänen, begrenzt durch
Elektronenanreicherungs- bzw. Verarmungsschichten).
Im stationären Fall ist das System im
allgemeinen multistabil, d.h. zu einem Spannungswert gibt es mehrere
stabile Zweige, welche sich aber zum Beispiel im resultierenden Strom
unterscheiden. In Zusammenarbeit mit L. Bonilla (Madrid) behandelten
wir zunächst die Frage, welcher der möglichen Zweige nach einem
abruptem oder kontinuierlichen Wechsel der äußeren Spannung vom System
selektiert wird [9,36]. Hierbei stellten wir fest, dass
der Endzustand des Systems z.B. sehr empfindlich von dem
Spannungsunterschied von Ausgangs- und Endspannung abhängen kann. Dies
Verhalten konnten wir zur Selektion verschiedener Arbeitspunkte
verwenden. Ein Großteil der teilweise überraschenden Effekte ließ sich
darauf zurückzuführen, dass am Emitterkontakt Paare von Anreicherungs- und
Verarmungsfronten der Elektronen (Dipole) erzeugt werden. Unsere theoretischen
Voraussagen zur Schaltdynamik zwischen den multistabilen Zuständen wurden
später durch Experimente am Paul-Drude-Institut Berlin in beeindruckender Weise
quantitativ bestätigt [5].
Durch eine nähere Untersuchung der Fronterzeugungsprozesse am Emitter,
sowie der Bewegung der Fronten innerhalb des Bauteils, gelang es uns,
komplexe Selbstoszillationen wie Tripolmoden [19] zu erzeugen.
Es zeigte sich, dass die Fronterzeugung am Emitter im wesentlich von
der Kontaktleitfähigkeit
und dem Gesamtstrom
abhängt.
Insbesondere konnten wir auch erstmals chaotische Frontdynamik in
einem ungetriebenen Übergitter (d.h. bei konstanter Spannung
)
nachweisen [18]. Ein typisches
Bifurkationsszenario ist in den Elektronendichteplots in
Abb. 10 dargestellt. Wir sehen, dass mit wachsender
Spannung das Übergitter sowohl periodisches als auch chaotisches
Verhalten zeigt. Das volle Bifurkationsdiagramm zeigt neben einer
alternierenden Folge von chaotischen und periodischen Regionen auch
eine markante Spinnennetzstruktur, dessen Zentrum bei
liegt.
Weiterhin gingen wir der Frage
nach, wie sich die Frontdynamik in einem Übergitter auf elementare
Weise verstehen lässt. Hierbei fanden wir
in Zusammenarbeit mit der Gruppe von U. Parlitz (Göttingen)
eine überraschende Analogie
zu einem Tankmodell, welches in ganz anderem Zusammenhang zur Beschreibung
der Vorratshaltung in Fabriken verwendet wird [28]. Hierbei
werden eine vorgegebene Anzahl von Töpfen abwechselnd über eine
Zuleitung mit Flüssigkeit gefüllt, während aus allen Tanks
gleichzeitig Flüssigkeit abfließt. Die Zuleitung wechselt dann zu
einem neuen Tank, sobald dieser leer ist, und zudem der aktuell
befüllte Tank eine gewisse Mindestfüllhöhe
erreicht hat. Das
Verhältnis der Zufluss- und Abflussraten ist dabei so gewählt, dass die
Gesamtmenge
der Flüssigkeit konstant bleibt. Die Füllhöhe in den
Tanks entspricht im Übergittersystem der Länge der Hochfeldregion
zwischen den Verarmungs- und Anreicherungsfronten, bzw. zwischen
erster Verarmungsfront und Emitter für den aktuell befüllten Tank. Das
Wechseln der Zuleitung im Tanksystem findet seine Entsprechung im
Übergitter in der Generation einer Dipolfront am Emitter.
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Für drei Tanks lässt sich die resultierende Dynamik durch eine
eindimensionale, stückweise lineare iterierte Abbildung wie im Inset der
Abb. 12 beschreiben. Diese modifizierte Zeltabbildung
hat nur einen Bifurkationsparameter
. Das entsprechende
Bifurkationsdiagramm in Abb. 12 stimmt in vielen
Einzelheiten mit dem mikroskopisch berechneten Bifurkationsdiagramm in
Abb. 11 überein. Insbesondere die Spinnennetzstruktur
lässt sich so detailgenau reproduzieren. Wir konnten daher zeigen,
dass sich die in Übergittern auftretende Frontdynamik auf sehr
fundamentale Weise mit Hilfe von iterierten Abbildungen verstehen
lässt [28]. Da hierbei die mikroskopischen Eigenschaften des
Übergitters nicht in Erscheinung treten, ist anzunehmen, dass eine
ähnliche Reduzierung auch für komplexen Frontsysteme mit globaler Kopplung
in vielen anderen Disziplinen möglich ist und dass unser reduziertes Modell
ein universelles Bifurkationsszenario beschreibt.
Technologisch sind oszillierende Übergitter insbesondere als GigaHertz-Generatoren interessant. In Zusammenarbeit mit der experimentellen Gruppe um E. Schomburg und K. Renk (Regensburg) analysierten wir die Hochfrequenzimpedanz von Übergittern, sowie das Verhalten von Übergittern in einem Resonator oder unter Einfluß einer äußeren Wechselspannung [20,21,38]. Die Frontdynamik läßt sich durch eine periodische Wechselspannung kontrollieren und zeigt typisches Verhalten wie Arnoldzungen, Teufelstreppe und Phasensysnchronisation. Außerdem entdeckten wir, dass eine geeignete äußere Beschaltung des Übergitters mit kapazitiven und induktiven Elementen die Schwingungsmode des Übergitters fundamental verändern kann, indem die Frontbewegung unterdrückt wird (quenched mode), was zu einer Eigenfrequenz führt, welche die nominale Frequenz des Übergitters um mehr als das Doppelte übersteigt. In diesem Kontext entwickelten wir zusammen mit der Regensburger Gruppe konkrete Vorschläge zur experimentellen Realisierung von elektronischen Höchstfrequenzoszillatoren [22].
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Weiterhin ist es in der praktischen Anwendung des Übergitters als
Hochfrequenzgenerator wichtig, ein stabiles periodisches Outputsignal zu erzeugen und
eventuelle chaotische Oszillationen zu unterdrücken. Zu diesem Zweck untersuchten
wir die chaotische Frontdynamik unter verschiedenen Rückkopplungsschemata. Wir konnten
erstmals zeigen, dass hier ein einfach zu realisierendes Kontrollschema mit globaler
zeitverzögerter Rückkopplung
erfolgreich ist [29,30]. Wir ersetzten dazu in (12)
durch
, mit einer Kontrollspannung